Ein anregendes Frühstücksgespräch

Unser heutige Start in den Tag begann zu meiner grossen Freude wieder einmal mit einem intensiven Frühstücks-Gespräch. Während dem Essen hörten wir in den Nachrichten, dass die gestrigen neuen Beschlüsse des Bundesrates zur Wiederöffnung nach dem Shutdown nicht überall auf Zustimmung stiessen.

Ich beobachtete, dass beide anwesenden Kinder aufhorchten.

“Oh, das ist aber interessant, dass nicht alle einverstanden sind”, versuchte ich das gehörte aufzugreifen.

“Ha, das ist ja logisch”, meinte das eine Kind. “Wenn die einen wieder öffnen dürfen und die anderen nicht, ist es ja klar, dass sich welche benachteiligt fühlen! Manche möchten halt lieber in Restaurant und nicht einkaufen. Oder am liebsten gleich beides gleichzeitig.”

“Ja, genau,” meinte ich. “Aber es geht halt nicht anders derzeit. Daran ist einfach die Pandemie schuld. Darüber haben wir ja schon oft gesprochen. Es geht einfach nicht, dass es für alle gerecht sein kann. Dies erklärt ja auch der Bundesrat immer und immer wieder.”

Beide Kinder essen schweigend und in Gedanken versunken weiter. Ich spüre meine leise Enttäuschung darüber, dass das Gespräch nach dem interessanten Start bereits endet.

Da beginnt das eine Kind von neuem: “Das ist halt wie in der Schule. Die einen finden es auch nicht schlimm, wenn der Lehrer oder die Lehrerin eine Rechnungsstunde ankündigt und die anderen jaulen auf, weil sei es doof finden.”

“Ja, es spielen auch nicht alle Kinder gerne Unihockey,” erwidert wiederum das andere Kind mit einem verständnislosen Blick, denn es lieeeebt Unihockey.

Ich ergreife jetzt die Gelegenheit und frage: “Und was gäbe es denn nun für eine Lösung für die Benachteiligten? Zumindest im ersten Moment?”

Es ist eine Weile still und alle widmen sich wieder dem Frühstück.

“Man muss es halt über sich ergehen lassen,” meint dann das ältere Kind und ich staune über diese Wortwahl.

Ich frage in die Runde: “Gäbe es denn noch eine andere Sicht? Vielleicht eine aktivere?”

“Ja”, erwidert das das andere Kind, “man könnte neu verhandeln?” Nach einer kurzen Denkpause, gehen wir darin einig, dass es ja eben nicht möglich ist, weiter zu verhandeln, denn die Situation muss akzeptiert werden wie sie ist.

Ich spüre, dass das MÜSSEN bedrückend im Raum steht. Beide Kinder kennen die Erfahrung, etwas zu müssen, aus ihrem Alltag. Die Ausweglosigkeit, die damit im Raum steht und eine Hürde sein kann. Es bedrückt mich, dass als Lösung nur “Es über sich ergehen lassen” im Raum steht, obwohl diese je nach Situation natürlich auch sinnvoll sein kann.

Nun rennt uns die Zeit davon und ich spüre, dass es wohl nicht möglich sein wird, die Kinder bei einer eigenen Lösungsfindung zu begleiten. Dennoch möchte ich dies nicht so im Raum stehen lassen. Es fühlt sich wie eine verpasste Chance an.

Ich ergreife ein Blatt Papier und schreibe auf die eine Seite:

“Ich lasse es über mich ergehen! – Passiv”

und auf die andere

“Ich mache das Beste daraus! – Aktiv”

Nachdem ich beiden Kindern die beiden Seiten nacheinander gezeigt habe, liegt Aufbruchstimmung in der Luft. Bald werden alle in ihren individuellen Alltag starten. Da meint das eine Kind, während es bereits aufsteht: “Ha, man kann ja jetzt zum Coiffeur und wenn dann die Läden öffnen, dann kann man sich ein neues Outfit kaufen und hat dann im nächsten Monat wieder Geld, um neu gestylt, mit tollen Kleidern ins Restaurant essen gehen! Ich glaube, so macht man das Beste daraus.”

Mit diesem Text möchte ich aufzeigen, dass es aktive und passive Handlungsweisen gibt. Dabei ist es mir wichtig festzuhalten, dass dabei nicht gewertet werden darf, welche davon ein Mensch wählt. Dies hängt von vielen Faktoren ab. Uns Aussenstehenden bleibt dann wiederum die Wahl, ob wir es über uns ergehen lassen und/oder das Beste daraus machen. Wichtig dabei ist, dass wir handlungsfähig sind, um uns frei für die für uns stimmige Lösung zu entscheiden.

In Gedanken bin ich (und ich weiss auch meine Kinder) bei all den Menschen, die es in der momentanen Situation schwer haben und mit wirtschaftlichen Sorgen kämpfen. Für sie halten wir uns penibel an alle Auflagen des Bundes und hoffen damit beitragen zu können, dass sich die Situation verbessert. Nebenbei plane ich meinen nächsten Coiffeur-Besuch, die Kinder benötigen alle neue Sommerkleider und es gibt eine umfangreiche Liste mit geplanten Museum- und Restaurantbesuchen.

Homeschooling – ein Tagebuch – Tag 55

Eine Familie bestehend aus Vater, Mutter und 3 Kindern wird durch die Schulschliessung, eine Massnahme der Schweizer Regierung aufgrund der Corona Pandemie, mit Homeschooling konfrontiert.

Mittwoch, 6. Mai 2020

Von Prioritäten und der Kraft sich nicht zu verlieren

Es ist ein grosser Kraftaufwand Menschen beim aufwachsen zu begleiten. Mehr als alles andere, braucht es Energie, Mut, Verständnis und Gelassenheit. Da es ein individueller Weg ist und jede Fähigkeit sowieso nur durch eigenes erlernen angeeignet werden kann, ist es nicht möglich sich dabei durch Theorie, Ratgeber oder mittels Vorbilder durch zu mogeln. Die Kinder lassen dies sowieso nicht zu. Jedes von ihnen ist so einzigartig und dabei auch eigenartig, so dass es einfach keine Ausweichmöglichkeiten und Schleichwege gibt. So ist die Welt. Dieser Weg ist besonders hart und gnadenlos, denn dein Kind ist das liebste und kostbarste was du hast und gleichzeitig strebt es vom ersten Moment in seinem EIGENEN Universum seiner EIGENEN Entfaltung entgegen. Für sein Wachstum ist ihm jede Ressource recht. Deshalb holt es sich auch alles was es von dir und seiner Umwelt kriegen kann.

Was heisst das nun für mich persönlich als Mutter?

Mein Leben ist seit der Geburt des ersten Kindes davon bestimmt, von einer Gratwanderung zwischen geben und abgrenzen, abwägen und nachgeben, zuhören und weghören, hoffen und glauben. Gleichzeitig lebe ich in meinem eigenen Universum und strebe meiner eigenen Entfaltung entgegen. Es gibt so vieles was ich mir selber holen und erlangen möchte……….. ohne Ressourcen abgeben zu müssen. Diese Diskrepanz ist ein Spannungsfeld, welches Kraft gibt, aber auch viel Kraft kostet.

Dies ist das Los und der Segen der Mutterschaft.

Diese Erkenntnis hilft mir dabei:

  • Mich nicht mit anderen Mutter zu vergleichen, denn meine Kinder sind anders als ihre und ich selbst bin anders
  • Auch einmal wütend sein zu dürfen, wenn mir Zeit für mich fehlt
  • Mir Egoismus zu erlauben, wenn ich meine Kraft für mich nutzen will
  • Zu verwöhnen und umsorgen, wenn ein Kind es einfordert
  • Achtsam auf meine Bedürfnisse zu achten
  • Erziehungsratgeber als Erfahrungsberichte anderer zu sehen und als Ermutigung für eigenen Erfahrungen zu nutzen
  • Hilfe anzunehmen und einzufordern, denn sie ist nötig und wichtig um Kinder beim heranwachsen zu unterstützen
  • Meine eigenen Ziele nicht aus den Augen zu verlieren und darauf hinzuarbeiten
  • Die Kinder als eigenständige Persönlichkeiten zu respektieren und sie dabei zu unterstützen, sich nach ihren eigenen Vorstellungen entfalten und entwickeln zu können
  • Meine Möglichkeiten sind begrenzt und ich bin nicht für alles verantwortlich
  • Jede Hürde ist eine neue Chance für Veränderung und Wachstum
  • Verzweiflung, Tränen und Frust sind Gefühle die Berechtigung haben
  • Das Leben ist zu kurz, um es nicht in vollen Zügen zu geniessen
  • Loslassen! Vorstellungen, Wünsche, Erwartungen und besonders die Kinder!

Dieser Text ist entstanden, derweil ich meinem Sohn im Englisch unterstützt und meiner Tochter beim zusammensuchen ihrer Schulutensilien geholfen habe. Meine Ressourcen sind in diesem Fall in verschiedene Richtungen geflossen und nicht wie in meiner Idealvorstellung allein in diesen Beitrag.

Hol dir was du willst!

Wie wir zur Familie Tiger wurden

Letzten Sommer haben wir mit einem Familienprojekt bereits das Leben in einer Ausnahmesituation geprobt. Viele Besucher der Ausstellung haben damals gemeint, wir seien unglaublich wagemutig und sie selber könnten dies nie. Wenn ich sehe, womit derzeit alle von uns konfrontiert sind, denke ich mir im stillen, sag niemals nie. Die Erfahrungen, die wir in diesem ungewöhnlichen Sommerprojekt sammeln konnten, waren für unsere Familie aus heutiger Sicht die Aufwärmrunde für das Leben mit Corona. Da ich grad selber gerne in der Erinnerung an diese Zeit schwelge, dachte ich, teile ich sie doch hier auch mit euch. Als erstes findet ihr das Konzept/die Idee mit welchem/welcher wir uns für die Teilnahme beworben haben und den darunter folgenden Bericht hatte ich im Dezember als Jahresbericht für den Verteiler unseres Jahresrückblicks verfasst. Viel Spass beim lesen!

Konzept/Idee

Vergangenheit

Seit der Kettenreaktion 2016 sind wir regelmässige Besucher des Areals und der Kantine Attisholz (vormals Kettenkaffee). Wir fühlen uns daheim, die Kantine ist für uns unser zweites Wohnzimmer. Bereits bevor klar wurde, dass es auf dem Areal einmal Wohnraum geben wird, war uns klar, dass wir in Zukunft einmal dort wohnen.

Gegenwart/Heute

Mit der Erschliessung des Attisholz Süd/Uferpark ist das gesamte Areal zusätzlich belebt worden. Das Interesse der Öffentlichkeit wird grösser. Es wird hip dort zu sein und die Bevölkerung erhebt Ansprüche. Wir spüren ganz deutlich, dass für uns mit der Kettenreaktion 2019 der Zeitpunkt gekommen ist, unserem Gefühl nachzugeben, Pionierarbeit zu leisten und unseren Wohnraum zu beziehen. Aus dem Ort der Freizeit, Kunst und Kultur beherbergt, soll mehr werden………. Wir wollen damit auch ein Statement setzen, dass wir uns als Teil der bisherigen Geschichte sehen und den Anspruch stellen, die Möglichkeit zu erhalten Wohnraum auf dem Areal zu bekommen.

Zukunft

Gemeinsam mit unseren drei Kindern werden wir in den Projektwochen ausloten, was es braucht, damit wir uns alle wohl und zu Hause fühlen. Unsere Bedürfnisse stehen im Vordergrund. Wie richten wir unser Leben auf dem Gelände ein? Was fehlt uns? Können wir es beschaffen, erschaffen oder geht es auch ohne? Welche Kontakte können wir nutzen oder neu knüpfen? Ziel ist es den (Wohn-)Raum so einzurichten, dass wir über einen längeren Zeitraum darin leben können. Unsere Mittel dafür sind beschränkt, wir werden vorhandene Materialien nutzen und wenn nötig Spenden suchen (nachhaltig).

Dokumentation

  • Gästebuch (T.) = Die Besucher unseres Wohnraums können sich dort eintragen
  • Fotos (S.) = Arbeit mit Fotos dokumentieren
  • Tagebuch (Mirjam) = Fortschritte schriftlich festhalten
  • Materialliste (D.) = Sämtliches verbautes Material dokumentieren
  • Visionen (D.) = Zieht nur ein, wenn ein Familienbett mit Rutschbahn realisiert wird

Soundtrack zum Konzept: «Wir sind gekommen, um zu bleiben», Wir sind Helden, Judith Holofernes

Familie Fischer

Familie Tiger gezeichnet von Louane / @the_littlebrother

Alles begann im Jahr 2016.

Anlässlich der Kunstausstellung Kettenreaktion’16 entdeckten wir das ehemalige Fabrikgelände der Cellulose Attisholz für uns. Wir verbrachten die folgenden Jahre viel Zeit dort und das Kettenkaffee wurde zu unserem 2. Wohnzimmer. Als Geocacher hatten Lostplaces schon immer eine Anziehungskraft auf uns. „Hier müssen wir einmal wohnen,“ sagten Dominic und ich bei diesen Besuchen oft zueinander. Mit der Erschließung des Uferparks im Frühling 2019 hörten wir diese Worte immer wie häufiger auch von anderen Besucher*innen der Brache. Verständlich, da die Besitzerfirma Halter auch die Absicht hat künftig dort Wohnraum zu schaffen. Allerdings nicht unbedingt in unserem Preissegment und mit dem Charme den Dominic und ich an dem Fabrikgelände so schätzen. Dies war einer der Auslöser für die Blitzentscheidung, die wir trafen, als ich Ende Mai bei einem Apéro in der Kantine den Flyer mit der Ankündigung für die Kettenreaktion 2019 sah. Dominic, Kinder, was meint ihr, das wäre doch die Gelegenheit da mitzumachen und hier zu wohnen!! Wie der Zufall es wollte, kam gerade der Präsident des organisierenden Vereins daher. Ich steuerte auf ihn zu und erzählte ihm von unseren Absichten. Obwohl die Ausschreibung bereits abgeschlossen war und die Künstler feststanden, fand er unsere Idee so „crazy“, dass er sie dem Verein nachträglich unterbreiten wollte. Wir schrieben also unser Konzept „Familie Fischer zieht ins Attisholz Nord“ und reichten es ein. Dann begann eine lange Geduld zerrende, ungewisse Wartezeit. Während wir das GO und die Unterstützung des Vereins (viele kannten die „Familie Fischer“ bereits aus den Besuchen im Vereinskaffee) sofort hatten, musste die Eigentümerin des Geländes eine eigene Entscheidung, unter Berücksichtigung aller sicherheits- und versicherungstechnischen Vorschriften, fällen. Dabei schwangen auch gewisse Ängste mit, dass diese Familie das Gelände nach Ende der Ausstellung besetzen könnte.

Mitte Juli kam dann endlich die definitive Bestätigung, dass wir dabei waren. Gerade rechtzeitig, denn Dominic hatte nur noch eine Woche Ferien und auf seine handwerklichen Fähigkeiten und Muskelkraft waren wir angewiesen. Die nächsten Wochen waren gefüllt mit Möbelsuche, bauen, einrichten, immer wieder Treppensteigen und Kontakte mit Künstler*innen knüpfen. Bedingt durch unser Wohnprojekt waren wir auf dem Gelände sehr präsent und jeder kannte uns und wir kannten jeden. Die Bedingungen in der Brache waren nicht einfach. Kein fließendes Wasser, kein oder nur wenig Strom, Sanitäranlagen in großer Entfernung, Staub, Staub, Staub und Treppen, Treppen, Treppen. Immer wieder neue Herausforderungen und Probleme die es zu lösen gab. Aber auch ein Abenteuerspielplatz direkt vor unserer Nase, Platz für Kunst, Dreck, Entdeckungen, spannende Menschen, viel Freiraum, keine Grenzen und die kühle, reinigende Aare direkt vor der Haustür.

Unser sonstiges Leben trat in den Hintergrund und die einmalige Gelegenheit sich in einem neuen Raum neu zu erfinden beflügelte jede*r einzelne von uns. Gleichzeitig waren wir darauf angewiesen als Familie zusammen zu halten und uns gegenseitig zu unterstützen. Dies hat unseren Erfahrungsschatz unglaublich wachsen lassen und unser Leben nachhaltig bereichert.

Mit der Eröffnung der Ausstellung im August begann unsere „Wohnphase“ als Real-Performance. Waren die Wochen davor durch viel harte Arbeit und künstlerischem Schaffen geprägt gewesen, standen wir nun im Rampenlicht der Öffentlichkeit und hatten direkten Kontakt zu den Besucher*innen. Obwohl wir dies selbst gewählt und gesteuert hatten, mussten wir dennoch individuell und als Familie herausfinden, wie wir diese Situation meistern wollen. Sehr genossen haben wir das Privileg ständig mittendrin zu sein und bedingt durch die Lage unserer Wohnung hatten wir einen Überblick über alles. Während wir als „Familie Fischer“ von Anfang an einen Begriff waren, wurden wir als Familie Tiger neu erschaffen, als Louane, ein Streetartkünstler, sich durch uns inspirieren ließ und uns als Familie Tiger malte. Sein Bild vereint mit einem liebevollen und detailgetreuen Blick all das was uns und unsere Wohnung ausmachte. Ein unglaubliches Werk, das uns rührte und reich beschenkte.

Danke an alle die uns in irgendeiner Form unterstützt haben. Sei es mit Essen, Möbeln, Aufmunterung, Verständnis, Interesse, Besuchen, Feiern, alles hat uns getragen und beflügelt. An dieser Stelle danke von ganzem Herzen. Die Erkenntnis dieses Sommers ist, dass jeder Moment unendlich reicher an Glück und Zufriedenheit wird, wenn man ihn mit anderen Menschen teilen kann. Die Erinnerung wird uns so durch das restliche Leben begleiten und durch den Austausch immer wieder neu aufgefrischt werden.

Danke an alle die uns in irgendeiner Form unterstützt haben. Sei es mit Essen, Möbeln, Aufmunterung, Verständnis, Interesse, Besuchen, Feiern, alles hat uns getragen und beflügelt. An dieser Stelle danke von ganzem Herzen. Die Erkenntnis dieses Sommers ist, dass jeder Moment unendlich reicher an Glück und Zufriedenheit wird, wenn man ihn mit anderen Menschen teilen kann. Die Erinnerung wird uns so durch das restliche Leben begleiten und durch den Austausch immer wieder neu aufgefrischt werden.

Pionierfamilie im Wohnzimmer